Eingang
Heute vor einer Woche ging die Denkumenta in St. Arbogast bei Götzis zu Ende. Vor einigen Jahren war ich beim theologischen Nachdenken übers Arbeiten zunächst auf die Bücher von Ina Praetorius und das postpatriachale Denken aufmerksam geworden. Ende letzten Jahres habe ich Antje Schrupp in Frankfurt in einem Cafe getroffen, nachdem es bis dahin mehr oder weniger intensive Kontakte in den sozialen Netzwerken gab. Das machte mich neugierig auf die Menschen, die hinter dem »ABC des guten Lebens« stehen. Und ich wollte es genauer wissen, was hier gemeint ist mit dem »guten Leben«, ein Begriff, der ja nun an vielen Orten und von vielen Menschen unterschiedlich verwendet wird. Meine Frau und ich planten unseren Urlaub um die Denkumenta herum und meldeten uns an.
Es nahmen teil:
Siebzig Frauen und zwei Männer.
Differenz
Etwas mulmig war mir schon. Wie würde das gehen? Es ging gut. Und zwar von Anfang an. Eine hohe Konzentration und Achtsamkeit im Umgang prägte die Begegnungen im Plenum, in den Workshops, beim (guten!) Essen, auf Gängen und Plätzen. Es wurde mir in Wort und Tat vermittelt, dass ich willkommen war. Mehr noch, es wurde als schön empfunden, dass zumindest zwei Männer sich »trauten«, wie es eine Teilnehmerin mir gegenüber formulierte. Dabei fiel mir dies nicht schwer, ich empfand ich keinen Moment Feindlichkeit, Ablehnung oder Misstrauen – trotz der Ablehnung des Patriarchats und des Zorns, der bei Teilnehmerinnen zu spüren war. Vielleicht gab es hier und da etwas Vorsicht und Skepsis, doch wie hätte es auch anders sein können. Umgekehrt ging mir dies genauso, als Teil auch der Achtsamkeit.
Auf mein »Mann-Sein« bin ich nie direkt angesprochen worden. Als Mensch, Person, Mann fühlte ich mich akzeptiert und respektiert. Ich war Teilnehmer wie alle anderen auch. Und doch empfand ich schnell eine große Distanz. In einem Gespräch drückte ich es so aus: »Ich habe das Gefühl, in einer anderen Welt als ihr Frauen zu leben, dies spüre ich hier für mich sehr deutlich.« Allerdings kam sofort die Gegenfrage, ob das wirklich eine Differenz zwischen mir als Mann und den anderen Frauen sei oder ob es nicht (noch/doch) um etwas ganz anderes geht.
Das hat mich nachdenklich gemacht. Der Begriff der Differenz spielt im »ABC des guten Lebens« eine große Rolle. Ich kam dann auf eine andere Idee.
Als Pfarrer und Theologe spreche ich immer wieder von der Einzigartigkeit jedes Menschen und dass aufgrund dieser Tatsache auch all unsere Beziehungen untereinander einmalig und unwiederholbar sind. Bei Beerdigungen drücke ich das so aus, dass ich von dem sichtbar gewordenen Netz der einzigartigen Beziehungen spreche, in dem der oder die Verstorbene gelebt hat, das durch die anwesenden Trauernden repräsentiert wird.
Auf der Denkumenta und im ABC, so mein Eindruck, steht der Begriff der Differenz in Beziehung zu dieser Einzigartigkeit – und durch die immense denkerische Arbeit traten diese Differenzen in besonderer Weise zu Tage. »Jede Frau ist schön und durch das gemeinsame Denken hier will ich noch schöner werden«, so ähnlich formuliert eine Teilnehmerin im Plenum zu Beginn ihre Hoffnung. Eine so dichte und intensive Denk-Arbeit von siebzig Menschen habe ich bislang kaum erlebt und vielleicht, so meine Vermutung und meine Hoffnung, lag in dem Gefühl des Unterschiedes zu den anderen Frauen genau diese Erfahrung begründet, dass gerade durch die Denkarbeit die Differenzen, die Einzigartigkeiten deutlich zu Tage traten. Und diese Differenzen wurden ausgehalten, bejaht und fruchtbar gemacht im gemeinsamen Denken. Das negiert nicht das Gefühl, dass Männer und Frauen in verschiedenen Welten leben, aber im gemeinsamen Denken, Reden und Handeln wurde dieser Graben gesehen und kleine Brücken darüber gebaut – eben auch zwischen den Frauen untereinander.
Denken führt zu verstärkter Wahrnehmung der Differenzen und zum Staunen. Staunen, ein Wort, das mir im Anschluss an Dorothee Sölle viel bedeutet (»Staunen ist der Beginn des Glaubens«) sehr viel bedeutet, dass aber auch im ABC eine große Rolle spielt (Staunen).
Verbundenheit
Je länger die Tagung dauerte, entwickelte sich daher bei mir unter, neben oder auch quer zu dem Empfinden der Fremdheit ein zweites Gefühl: Verbundenheit.
Aus den Verbindungen in zahllosen Gesprächen und den vielen Workshops trat sie ans Licht. Die vielfältigen, eben sehr differenzierten Beziehungen, die neugierig, offen und mutig in die vorhandenen Bezogenheiten geknüpft wurden, schufen in dem geschützten Raum der Denkumenta eine kreative Atmosphäre, aus der heraus auch verschiedene Folgeprojekte entstanden. Zu diesem Klima trug die dezente und dennoch professionelle Vorbereitung und Leitung durch die Organisatorinnen bei, aber vor allem die Bereitschaft der Anwesenden, sich aufeinander einzulassen. Dies ging so weit, dass der zweite Mann mir anfangs sagte, dass er »aus Solidarität« in meinen Workshop zur Visionsentwicklung kommen werde – und genau dies am Ende nicht tat, weil es »falsch« gewesen wäre. Es gibt die Hoffnung, dass einst die üblichen Geschlechterrollen und die Zweiteilung der Welt keine Bedeutung mehr haben. Vielleicht haben wir an dieser Utopie geschnuppert, drei Tage lang, und das führte – zumindest bei mir – zu dem Gefühl der Verbundenheit.
Ich will es noch einmal in anderen Worten beschreiben. Eine Frau berichtete engagiert von der Vorgängertagung 2002 in Salzburg, auf der für sie das Patriarchat mit einem Mal zu Ende gewesen sei – weil sie aufgehört habe, daran zu glauben. Ich dachte, vielleicht geht das auch umgekehrt: Auch wenn die Zweiteilung der Welt noch lange nicht zu Ende ist: Wir können glauben an eine andere Form des Denkens und Lebens, in der die Differenzen zwischen uns einzigartigen Menschen als schön und bereichernd wahrgenommen werden – und dann beginnt diese Utopie unter uns. Eben weil wir daran glauben. Fragmentarisch, aber real existierend.
Der für mich berührendste Moment der Denkumenta kam in der Schlussrunde. Eine Teilnehmerin bedankte sich bei allen Frauen für die engagierten Gespräche, die offene und konzentrierte Haltung im Umgang miteinander und fügte hinzu, »…in diesem Fall schließe ich auch die anwesenden Männer mit ein.«
Verbundenheit.
Ausgang
All das klingt in meinen Ohren jetzt doch zu schön und friedlich. Daher gieße ich noch zwei Schluck Wasser in den Wein.
Es gab einen winzigen Moment, in dem deutlich wurde, wie brüchig die Oberfläche des gemeinsamen Denkens auch auf der Denkumenta noch war. Ein einziges Mal saßen die beiden Männer für eine Viertelstunde in einer Werkstattrunde in einer Gesprächsrunde, wir sind uns sonst mehr oder weniger bewusst aus dem Weg gegangen. Und es ergab sich, dass es einen Dialog zwischen uns beiden gab, keine vier oder fünf Sätze – und sofort ging eine Frau dazwischen, weil sie das Gefühl hatte, das artet jetzt aus, ihr Männer schließt gerade wieder die Frauen aus. Wir beide schauten uns an, verstanden zwar den Impuls, fanden aber doch, dass es während einer viertägigen Tagung »erlaubt« sein darf, einen kurzen Dialog »unter Männern« zu führen, ohne dass »die Frauen« das Gefühl haben, sich ausgeschlossen zu fühlen. Ich will das nicht überbewerten, es war ein Moment, der auch keine Verstimmung hinterließ. Aber es zeigte sich für einen Augenblick, wie dünn und gefährdet das Band der Verbundenheit war und ist.
Das ist das eine. Und das andere:
Mir ist bewusst, ich habe leicht reden. Ich bin und bleibe immer noch ein Mann und habe auch meine Chauvianteile. Ich lebe zumeist in der »oberen« Hälfte der Welt, ob ich will oder nicht – weil sich andere entsprechend auf mich beziehen und ich auf sie. Was das bedeutet wurde mir vor einigen Jahren sehr hautnah bewusst, als ich mich aus reiner Neugier in einem Online-Spiel mit einem weiblichen Avatar anmeldete und auch den Haken bei »weiblich« machte. Es folgten schnell mehr oder weniger offene Anzüglichkeiten, Anspielungen. Dieser kaum merkbare feine Unterschied (frei nach Bourdieu) hat mich betroffen gemacht. Gut, dass es geschützte Momente eines anderen Umgangs miteinander gibt, die hoffentlich Langzeitwirkungen zur Folge haben.
Daher, und das bleibt auf der Habenseite, bin ich dankbar für die Erfahrungen auf der Denkumenta, für Differenz und Verbundenheit, für das gemeinsame Denken, die Arbeit am (Um-) Formulieren und Neuschaffen von Wörtern. Ich nehme das wunderbare Wort »Neubegehren« von Ina Prätorius mit (für Neugier), die Verabredung, miteinander weiter zu arbeiten (z.B. über das Grundeinkommen) und vor allem die Hoffnung, dass diese Geschichte weitergeht, weitererzählt und -gestrickt wird – und dass bei der nächsten Denkumenta mehr als zwei Männer dabei sind.
Post scriptum
Ich habe in einem Workshop gelernt, was ein Haiku ist. Seither habe ich jeden Tag mindestens eins geschrieben.
Zwei auf der Denkumenta:
Siebzig Frauen hier
auf der Suche nach Schönheit
und zwei Männer auch.
Was wollen wir hier?
Frei durcheinander denken
fürs gute Leben.
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Dank für den Rückblick
auf diese Denkumenta
in St. Arbogast
Freut und berührt mich
vitale Verbundenheit
im Neubegehren.
Zwei Schluck Wasser sind
für so was Wunderbares
wahrlich nicht zuviel. 🙂
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Ach wie schön, drei Haiku´s als Kommentar 🙂
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Pingback: beziehungsweise – weiterdenken : AFFIDAMENTO und DIFIERI – Mein Rückblick auf die Denkumenta
Hier findet sich ein weiterer Rückblick auf die Denkumenta von Jutta Piveckova:
http://gleisbauarbeiten.blogspot.de/2013/09/affidamento-und-disfieri-mein-ruckblick.html
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