Life of Pi (Schiffbruch mit Tiger)

Das Buch von Yann Martell hatte ich bereits vor zwei Jahren oder so gelesen, daher war ich neugieirg auf den Film. Heute waren wir drin.

Der Film erzählt die Geschichte von Pi(scine), einem jungen Mann aus Indien. Genauer gesagt: Pi erzählt seine eigene Geschichte Jan (oder Yann?). Pi wächst als Sohn eines Zoobetreibers auf, lernt verschiedene Religionen (Hinduismus, Christentum und Islam) kennen und schätzen und muss sich dabei von seinem Vater anhören, es wäre doch besser, auf die Vernunft zu setzen. Die Familie muss Indien verlassen, weil sich der Betrieb des Zoos nicht mehr lohnt, der Vater verschifft die Tiere und die Familie auf einen Frachter Richtung Kanada, weil er hofft, dort mehr Geld für die Tiere erzielen zu können.

Der Frachter kommt in einen Sturm, sinkt und Pi findet sich mit Zebra, Hyäne, Orang-Utan und Tiger in einem Rettungsboot wieder. Das mit den Tieren hat sich schnell erledigt – übrig bleiben Pi und Mister Parker, der Tiger, der seinen Namen einer Verwechslung verdankt.

Der folgende Überlebenskampf wird in epischen Bildern erzählt. Wunderbare Farben im Meer und im Untergang der Sonne wechseln mit harten, schnellen Schnitten, wenn der Tiger wieder einmal versucht die Oberhand zu gewinnen. Der Film ist in 3D aufgenommen, bis auf ganz wenige Szenen ist hier 3D nicht effekthascherisch, sondern zurückhaltend und die Geschichte unterstützend eingesetzt. Mehr als einmal frage ich mich, wie die das denn gedreht haben mit den Tieren…?!

Pi gelingt es, den Tiger nach und nach in Schach zuhalten, am Ende stranden sie nach einem Zwischenstopp auf einer Insel mit (in der Nacht aktiven) fleischfressenden Pflanzen an der Küste Mexikos und es bricht Pi das Herz, dass der Tiger, sein Gefährte über 277 Tage, ohne sich einmal umzuschauen in den Dschungel entschwindet…

Ich habe es selten erlebt, dass ein Kino von atemloser Stille erfüllt war. So dicht ist die Erzählung, so nah kommt mir Pi und in einigen Einstellungen auch der Tiger. Magisch schlagen manche Einstellungen in den Bann. Beeindruckend sind die Szenen, in denen Pi Gott, dem Barmherzigen dankt für Fische und Wasser, für Gewitter und den Tiger an seiner Seite. Und dabei vermischen sich wie von selbst der Gott der Bibel mit dem Gott Mohammeds und Shiva.

An Land ist die Geschichte nicht vorbei. Im Krankenbett muss Pi zwei Männern der japanischen Reederei des untergegangen Frachters seine Geschichte erzählen. Sie glauben ihm kein Wort und bitten ihn, die „Wahrheit“ zu erzählen. Und Pi erzählt ihnen eine zweite Geschcihte, eine Geschichte der Vernunft oder besser, eine Geschichte der Unmenschlichkeit in einer außergewöhnlichen Lebenssituation. Vier Menschen retten sich in das Boot und fechten einen erbarmungslosen Kampf ums Überleben aus. Am Ende erschlägt Pi im Zorn den Mörder seiner Mutter und treibt allein über den Pazifik. Unschwer erkenne ich als Zuschauer genau wie Jan/Yann in den vier Personen die vier Tiere wieder – wobei Pi und der Tiger sich zu einer Figur verbinden.

Welche Geschichte ist wahr? Welche wollen wir glauben? So könnte man fragen. Aber Pi fragt anders, er fragt Jan/Yann: „Welche Geschichte magst du mehr?“ Was für eine Frage, könnte man meinen. Geht es nicht eher um die Wahrheit als darum, was ich mag? Aber Jan/Yann schmunzelt und sagt: „Die unglaublichere Geschichte ist die mit den Tieren, die mag ich mehr.“ Und Pi antwortet: „So ist es auch mit Gott.“

Ich finde das wunderbar. Die Geschichte, die mich träumen lässt, die mit Farben und Mut und Schönheit erzählt wird, die wird mehr gemocht als die Geschichte der reinen Fakten und der Vernunft. Und vielleicht sind viele der biblischen Erzählungen gleichwie die anderer Religionen Geschichten, die uns träumen lassen und die zwischen den Zeilen, mit Farben und mit Musik, etwas anderes erzählen als die Fakten, das Offensichtliche, das Vor-Augen-Stehende. „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, so lautet ein bekannter Spruch von Antoine de Saint-Exupéry. Es sei denn, man geht ins Kino.

4 Gedanken zu “Life of Pi (Schiffbruch mit Tiger)

  1. Natürlich hat der Film seine Schwächen: Er braucht eine Weile, bis er in Gang kommt, bis Pi endlich im Rettungsboot ist. Aber auch wenn sich seine Vorgeschichte etwas zieht, ist sie nicht unwichtig, denn um seinen Verlust zu verstehen, muss man seine Familie kennenlernen und um ihn zu verstehen, muss man seine offene Weltsicht und seinen Humor erleben, ehe es ins große Drama geht. Das ruckelt zwar tonal ein bisschen, funktioniert im Gesamtkontext dann aber dennoch leidlich gut, da zwar die Exposition oftmals etwas platt ist, die sympathischen Schauspieler das Ganze aber irgendwie dann doch erträglich machen. Und Lee schafft es auch die religiösen Motive, die Glaubensmetaphern so in die Geschichte einzubinden das sie zwar deutlich, aber nicht anstrengend sind und gerade mit Blick auf das Ende nie unangenehm missionierend wirken. Er stellt Fragen und gibt Ideen, lässt sie aber den Film nicht dominieren, der trotz seines phantastischen Settings überraschend simpel und unprätentiös daherkommt. Hier wird nicht groß geschwurbelt oder gepredigt, sondern in erster Linie extrem fluffig erzählt, in einer Haltung, die nahelegt, dass der Film sich nicht mehr vornimmt und nicht wichtiger daherkommt, als er es letztlich ist. Ist Gott tatsächlich nur „Die bessere Story“ – darüber kann, aber muss nicht zwingend diskutiert werden, um Life of Pi genießen zu können. Er stösst nicht vor den Kopf, er will nichts erzwingen und er behauptet nichtmal zwingend Recht zu haben und das macht ihn, neben seinen anderen Qualitäten, sehr sympathisch.

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  2. Pingback: Netzfundstücke am 31. Januar | Lechajim - für das Leben

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